»Aber seine Kritiker in den Zeitungen und an
den Stammtischen, ebenso wie seine Richter in
Karlsruhe, haben nicht berücksichtigt, daß sie
es mit einem wahren Patrioten zu tun hatten.«
Henrik Bonde-Henriksen über Otto John
Der »Spiegel 36/1955« meldete folgende Neuigkeit: »In seinem Schweizer Urlaubsquartier Mürren erklärte Bundeskanzler Konrad Adenauer aus Bonn angereisten Vertrauten, daß er sich zu einer Neubesetzung des zur Zeit wichtigsten Kabinettspostens entschlossen habe. Neuer Bundesverteidigungsminister soll anstelle des verbrauchten Theodor Blank über kurz oder lang des Kanzlers ehemalige rechte Hand, sein Staatssekretär a.D. und Informationsministeraspirant von 1953, Otto Lenz, werden. Lenz sei der einzige verfügbare Politiker, der imstande wäre, Generäle in Schach zu halten. Konrad Adenauer schwieg sich jedoch darüber aus, ob dieses Revirement noch vor oder erst nach der Bundestagswahl von 1957 stattfinden sollte.«
Blanks Nachfolger im neuen Verteidigunsministerium wurde aber dann nicht Adenauers Staatssekretär Lenz, sondern jener junge, bayerische CSU-Politiker, der sich in Paris so unbedacht eines Öffentlichen Telefons bedient hatte, um die Nachricht vom baldigen Ende der Regierung Mendes-France zu übermitteln: Franz-Josef Strauß.
1955 trat Deutschland der NATO bei. Adenauer reiste nach Moskau, um mit der Sowjetunion diplomatische Beziehungen aufzunehmen und damit die Heimkehr der letzten deutschen Kriegsgefangenen zu ermöglichen. 1956 billigte der Bundestag die Wiederaufrüstung, und das Bundesverfassungsgericht erklärte die KPD für verfassungswidrig. 1957 wurde Adenauer zum drittenmal Bundeskanzler, seine Partei, die CDU, errang mit 50,2 % die absolute Mehrheit. 1959 kandidierte er als Bundespräsident. Im Herbst 1961 verlor die CDU die absolute Mehrheit wieder, Adenauer wurde mit Hilfe der FDP, die gegen ihn Wahlkampf gemacht hatte, zum vierten und letzten Mal Bundeskanzler. Im November 1962 mußte sein Verteidigungsminister, jener vielversprechende Franz-Josef Strauß, zurücktreten, weil er in der »Spiegel«-Affäre das Parlament belogen hatte. 1963 erklärte Adenauer unter starkem Druck seiner eigenen Partei vor dem Bundestag, er werde sein Amt vorzeitig niederlegen. 1966 gab er auch das Amt des CDU-Vorsitzenden an seinen parteiinternen Rivalen und Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers, Ludwig Erhard, ab. Konrad Adenauer starb am 19. April 1967 im Alter von 91 Jahren.
Otto John wurde schon kurz nach seinem Verschwinden von den Ostberliner Machthabern den Medien als Kämpfer gegen den Militarismus in Westdeutschland vorgeführt. Sein Aufenthalt im Osten dauerte bis zum Dezember 1955. Während eines Besuches auf dem Weihnachtsmarkt »Unter den Linden« konnte er seinen Bewachern durch die Humboldt-Universität entkommen und mit Hilfe des dänischen Journalisten Henrik Bonde-Henriksen durchs Brandenburger Tor nach Westen flüchten. Obwohl Bonde-Henriksen sich in Bonn die Zusicherung geholt hatte, John drohe keine Strafe im Westen, wurde der ehemalige Verfassungsschutzpräsident verhaftet. Unter den fünf Richtern des Dritten Strafsenates beim BGH, die über John urteilten, waren zwei ehemalige NS-Richter. John, der beteuerte, entführt und zur Teilnahme an den Ostberliner Pressekonferenzen gezwungen worden zu sein, wurde - obwohl das Gericht einräumen mußte, daß er im Osten keine Staatsgeheimnisse verraten hatte - am 22. Dezember 1956 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt: wegen des obskuren Tatbestandes landesverräterischer Fälschung und Konspiration (nach dem heute nicht mehr existierenden $100 StGB, der die Behauptung eines Sachverhaltes unter Strafe stellte, der nicht existiert, der, wenn er aber existieren würde, ein Staatsgeheimnis wäre. Gemeint war Johns Hinweis auf eine Geheimabsprache unter den westlichen Staaten, die einen Präventivschlag gegen den Osten vorsah). Nach seiner Freilassung am 28. Juli 1958 hat John insgesamt fünfmal Antrag auf Aufhebung des BGH-Urteils gestellt.
1995 entschied das Berliner Kammergericht in seiner Sache. Die für eine Wiederaufnahme notwendige »neue und zwingende« Tatsache hatte der ehemalige Sowjet-Botschafter in Bonn, Valentin Falin, geliefert. Falins Fazit: »Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß Otto John nicht bewußt war, wohin er nach seinem Zusammensein mit dem genannten Arzt (Wohlgemuth) gefahren wurde.«
Generalbundesanwalt Key Nehm ersuchte das Berliner Kammergericht, Falins beeidigte Aussage als unerheblich anzusehen, weil sie auf Hörensagen beruhte. Das Kammergericht wies Johns Antrag ab.
Eine Pension bezog der ehemalige Präsident des Bundesamtes für den Verfassungsschutz nicht, allerdings hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker ihm 1986 gegen den politischen Willen in Deutschland einen Ehrensold zugestanden - und das, obwohl John als Berichterstatter im Nürnberger »Wilhelmstraßenprozeß« indirekt zur Verurteilung seines Vaters, des ehemaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, beigetragen hatte.
Otto John starb am... weiterlesen
Hardcover
ISBN13: 9783821805481 ISBN10: 382180548X
Eichborn Verlag | 1998 | 478 Seiten | deutsch
Buch: Einband an den Rändern angestoßen
mit kleinen Knicken und Kratzern
Buchschnitt und Seiten teilweiseverschmutzt
Versandmaße:
145 x 220 x 45 mm (BxHxT)765
Verfassungsschutz, Spionage, Otto John, Theodor Oberländer, Reinhard Gehlen, Konrad Adenauer, Hans Globke, 20. Jahrhundert nach 1945, Hardcover
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